Gemeinwohlökonomie

Gemeinwohl-Ökonomie in der Unternehmenspraxis

Das Anliegen der Gemeinwohl-Ökonomie besteht darin, neben den harten Zahlen der Wirtschaftlichkeit auch weiche Faktoren zur Bewertung von Unternehmen heranzuziehen. Dazu gehören der Umgang mit den Prozessbeteiligten, die Transparenz des Handelns und die Möglichkeiten der Mitentscheidung, sowie die Achtsamkeit gegenüber der Umwelt. Dargestellt werden diese Faktoren in einer sogenannten nicht-finanziellen Information(NFI). Diese soll in den Jahresabschlüssen der Unternehmen ebenso verpflichtend erstellt und durch externe Auditoren bewertet werden wie die finanzielle Bilanz.

Seit 2017 sind kapitalmarktorientierte Unternehmen sowie Banken und Versicherungen mit mehr als 500 Mitarbeitern nach der „EU-Richtlinie über nicht-finanzielle Berichterstattung“ verpflichtet, neben dem finanziellen Lagebericht auch über Umwelt-, Arbeitnehmer- und Sozialbelange, Achtung der Menschenrechte sowie der Bekämpfung von Korruption und Bestechung zu berichten.

2021 legte die EU-Kommission einen überarbeiteten Entwurf der Richtlinie vor. Hauptkritikpunkte der Gemeinwohlökonomie-Bewegung an dem Entwurf sind, dass der Anwendungsbereich – also Unternehmen, die zur Vorlage einer NFI verpflichtet werden – deutlich ausgeweitet werden müsse, dass Berichtsstandards definiert werden müssten, dass eine quantitative Vergleichbarkeit festgelegt werden solle, dass externe Audits verpflichtend eingeführt werden sollten und dass rechtliche Anreize (z.B. Steuervorteile) für positiv auditierte Unternehmen vorgesehen werden sollten.

Die Bewegung der Gemeinwohlökonomie ist mittlerweile über Europa hinaus weltweit tätig, mit Ortsgruppen in Afrika, den USA und Südamerika. Getragen wird sie durch ca. 11.000 Unterstützer, über 2.000 Aktivisten, mehr als 100 Regionalgruppen, 30 GWÖ-Vereine, 500 nach Gemeinwohl-Prinzipien bilanzierte Unternehmen, rund 60 Gemeinden und Städte sowie 200 Hochschulen. Auf politischer Ebene konnten 2015 in der EU erste Erfolge verzeichnet werden: Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) sprach sich mit einer Mehrheit von 86 % für die Integration der Gemeinwohl-Ökonomie in den Rechtsrahmen der Union und ihrer Mitgliedsstaaten aus.

Auf Ihrer Webseite www.web.ecogood.org stellt die Bewegung ihre Ziele und ihre Arbeitsweise ausführlich dar. Interessierten Unternehmen und Einrichtungen stehen zum Download alle erforderlichen Unterlagen für eine Gemeinwohl-Bilanzerstellung zum Großteil kostenlos zur Verfügung.

Betrachtet man die Folgen der neoliberalen Politik der letzten 30 Jahre mit dem damit einhergehenden Verschleiß an Infrastruktur, der zunehmenden Verarmung der Bevölkerung, dem unverhältnismäßigen Anstieg von Mieten und Immobilienpreisen, der Verschlechterung der Bildungschancen, so ist es sehr zu begrüßen, dass Gegenbewegungen erstarken, deren Ziel es ist, hier einen Ausgleich zu schaffen und Gesellschaft und Umwelt in Zukunft positiv für alle zu gestalten.

Das System der Gemeinwohl-Bilanz ist gut durchdacht und langfristig angelegt. Allerdings steckt auch sehr viel Aufwand und Formalismus in der Erstellung und Überprüfung eines Berichts. Ob kleine und mittlere Betriebe dies jährlich verpflichtend leisten sollen und können, bleibt zu überdenken. Der Aufwand für Bürokratie ist gerade dort jetzt schon zu groß und wird durch solche Maßnahmen nicht kleiner. Es ist absehbar, dass mit den Audits und zusätzlichen Beratungen durch Coaches auch weitere Kosten und unproduktive Arbeit auf diese Betriebe zukommen.

Sinnvoll ist es aber, durch das Angebot der Gemeinwohl-Matrix den Unternehmern Denkanstöße zu geben, um den eigenen Betrieb auch im größeren Zusammenhang zu bewerten. Es darf dabei nicht unerwähnt bleiben, dass die unter dem Begriff Gemeinwohl zusammengefassten Kriterien in vielen mittelständischen Unternehmen, gerade in den in Familienbesitz befindlichen, nicht unbekannt sind und seit vielen Jahren praktiziert werden. Die Beachtung des Gemeinwohls und des Umfeldes hält ihre Unternehmen langfristig überlebensfähig.

Ute Sesselmann

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