Spatz am Dach

Spatz am Dach

Der Spatz hat sich im dichten Frühsommerlaub des Rotdorns versteckt und nützt seine Unsichtbarkeit, um dem am Biertisch sitzenden Zweibeiner seine Meinung zu ziepen. „Was fällt dir denn ein, du flugunfähiger Pflastertrampler, dass du in jeder SchauRein! einen Haufen Zeug über uns Spatzen erzählst?! Du gfalterter Jubelgreis, du hast erstens null Ahnung, wie es einem Stadtspatzen wirklich geht, und zweitens steht dir das tendenziöse Gewäsch über eine schutzbedürftige Minderheit überhaupts gar nicht zu!“ Richtig in Rage ziept sich der anonyme Spatz, würde er nicht aus dem Baum zwitschern, sondern auf Twitter, so würde er die Sperrung seines Accounts riskieren.

Jetzt wäre natürlich interessant, wieso sich der Spatz auf einmal diskriminiert und in seiner Identität als globaler Vertreter des urbanen Sperlingsvolkes missverstanden, ja geradezu verunglimpft fühlt. Wenn ihn ein Spaßvogel zum Subjekt kritischer Würdigung des aktuellen Lebensstils macht, dann könnte ihn das doch genauso gut freuen. Als Drübersteher, Drobensitzer, Überflieger kommt er in der SchauRein! regelmäßig gut weg, weil ihm die Glosse ein hohes Maß an Durchblick unterstellt, das ein landläufiges „Spatzenhirn“ nie zu leisten vermöchte.

Auauau, da haben wir es doch schon wieder! Genau das ist doch die Geringschätzung, mit der die verflixten alten weißen Männer mit ihrer obsoleten Sprache und ihrem Bildungsgeprotze der Mehrheit der Mit-Lebewesen entgegentreten! Begreifen diese aufgeblasenen Kultur-Beutel denn nicht, dass alle die gleichen Rechte haben und niemand wegen seiner Abstammung benachteiligt werden darf? Was muss denn noch passieren, damit dieses eitle Pack auf seinen Platz verwiesen wird und die Bescheidenheit der Spatzenexistenz zum Vorbild aller sozialen Kontakte wird?

„Lieber Spatz“, würde ich sagen, wenn ich fließend spätzisch könnte, „du hast aus deiner Sicht vollkommen Recht. Wenn dir ein Ast im Rotdorn als Wohn- und ein Nest aus wenigen Halmen als Kinderzimmer reichen, ist die Kommunikation mit ein paar Ziep-Lauten genau richtig. Das Getwitter derer, die dich als Vorbild sehen, meint aber, dass warmes Wasser zum Duschen, Vollsortiment zu stabilen Preisen, freier Breitband-Zugang bis zur letzten Milchkanne und Urlaubsreisen per Flugzeug Grundrechte wären“.

Der Spatz antwortet darauf mit der nächsten Stufe neo-globaler Kommunikation: Auf dem Tisch, knapp neben dem Bierglas, ist plötzlich ein feucht schimmernder, unregelmäßig sternförmiger, weißer Fleck mit einem grauen Batzerl als Zentrum.