Eine Fragestellung, zwei Ausstellungen
Zwei Ausstellungen, die voneinander unabhängig sind und dennoch gut zusammenpassen: Sophie Englmaier aus Fridolfing und die in Frasdorf lebende Nicola Heim, die ab Anfang Juli ihre Werke in Fürsten- und Prälatenstock der Tittmoninger Burg zeigen, kannten sich vorher nicht persönlich.
Bei der Vorbereitung der Ausstellungen haben sie festgestellt, dass sie bei aller Unterschiedlichkeit doch von denselben Fragen umgetrieben werden und ähnliche Themen bearbeiten, etwa unser Verhältnis zur Natur und Fragen der Mutterschaft und Weiblichkeit. Die beiden tun dies auf sehr unterschiedliche Weise mit ganz verschiedenen künstlerischen Mitteln, aber doch mit einer spezifisch weiblichen Sensibilität und Perspektive.
„Was ist unsere Natur?“ – diese Frage, die auf dem gemeinsamen Plakat prangt, haben die beiden Künstlerinnen als gemeinsamen Nenner für ihr künstlerisches Arbeiten gefunden. Sich selbst als Teil der Natur zu erkennen und zu erleben, ist der Ansatz von Sophie Englmaier, deren Ausstellung den Titel „Being part of“ trägt. Ob das Ende der Kontrolle notwendig ist, um mit uns und der Natur in Einklang zu leben, fragt Nicola Heim, die ihre Ausstellung mit „Das Wilde kehrt zurück“ überschreibt.
Mit einer gemeinsamen Vernissage am 6. Juli um 19 Uhr werden beide Ausstellungen eröffnet, die neben den klar voneinander getrennten Burgtrakten auch den Außenbereich „bespielen“. In Zwinger und Burghof mischen sich die Exponate der beiden und treten in einen Dialog, der ansonsten nur im Kopf des Betrachters abläuft, wenn er beide Ausstellungen nach- und miteinander ansieht. Auch eine gemeinsame Führung soll es geben, bei der die Künstlerinnen nicht nur mit dem Publikum, sondern auch miteinander ins Gespräch kommen. Der Termin dafür stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Am letzten Tag der Ausstellungen, dem 4. August, laden beide Künstlerinnen darüber hinaus gemeinsam zu einem „Silent walk & artist talk“, der um 16 Uhr vor dem Rathaus Tittmoning startet. Der schattige Achtsamkeitsspaziergang durch das Ponlach hinauf zur Burg soll alle Sinne öffnen und gehend auf die Ausstellungen einstimmen. Oben angekommen, gibt es dann bei einem gemeinsamen Gang durch die Ausstellungsräume noch die Möglichkeit zum Gespräch mit Sophie Englmaier und Nicola Heim. Wer nicht wandern kann oder will, kann auch in der Burg gegen 16 Uhr 45 zum „artist talk“ dazustoßen.
Sophie Englmaier zeigt in Tittmoning u.a. großformatige Acrylgemälde aus ihrem Projekt „Being part of“, das der Verbundenheit mit der Natur und ihrem Prinzip „panta rhei“ nachspürt, außerdem performative Fotografien, Tuschezeichnungen und Treibholzskulpturen. Am Donnerstag, dem 18. Juli, lädt sie gemeinsam mit der Tänzerin Christina Gramsamer um 18 Uhr zum Workshop „Ground and Flow“: Malerei trifft Tanz.
1983 in Freilassing geboren, lebt Sophie Englmaier heute als bildende Künstlerin mit ihrer Familie in Fridolfing. Nach BWL-Studium in Rosenheim arbeitete sie zunächst in der Industrie und im handwerklichen Familienbetrieb in Freilassing. Nach Lehrtätigkeiten in der Erwachsenenbildung führte 2013 ein Kulturpraktikum in der Salzburger Galerie Fotohof sie erst zur Fotografie, später kam die Malerei hinzu. Ab 2014 nahm sie an diversen Gruppenausstellungen und -präsentationen teil, seit 2018 ist Sophie Englmaier aktives Mitglied im Kunstverein Traunstein. Seit 2021 unternimmt sie längere Reisen durch Europa zusammen mit Mann und Kindern im Wohnmobil und arbeitet dabei an der Serie „Being part of“. Im Februar 2023 zeigte sie die Einzelausstellung „Den Wandel tanzen“ in der Stadtgalerie Freilassing, zuletzt waren elf ihrer aktuellen Arbeiten im Rahmen der Ausstellungsreihe „Kunst im Amt“ im Landratsamt Traunstein zu sehen.
Zum Malen sucht Sophie Englmaier Naturplätze auf, die sich ihre ursprüngliche Kraft und Schönheit bewahrt haben, und malt dort, in Berg-, Wald- und Meerlandschaften, unter freiem Himmel, in der Heimat oder an Plätzen, die sie auf Reisen durch Europa entdeckt. Hier verbinden sich ihr Interesse an transformativen Prozessen und die Freude am großen Format mit der Kraft der Natur. Sie lässt sich von den Gegebenheiten und Qualitäten des Platzes, von Atmosphäre und Wetter inspirieren, verwendet Wasser, Erde, Kohle und Sand, die dort zu finden sind, und schlägt Brücken zwischen dem Augenblick und ihrem Pinselstrich. So entstehen bewegte Acrylgemälde mit poetischen Titeln, welche die Ressource Natur in die Räume der Menschen bringen.
„Wenn ich mich mit der Natur verbinde, wächst eine spürbare Beziehung zu allem in mir und außer mir.“ (Sophie Englmaier)
Nicola Heim stellt unter dem Titel „Das Wilde kehrt zurück“ die Frage, ob das Ende der Kontrolle notwendig ist, damit wir mit uns und der Natur in Einklang leben. Sie präsentiert auf den drei Stockwerken des Fürstenstocks Malerei, Collagen und Skulpturen, aber auch Mobiles, Arbeiten mit Text, Video, Installationen und Keramik.
1969 geboren, studierte Nicola Heim Kunstgeschichte, Religionswissenschaften und Pädagogik in Marburg, Innenarchitektur in Italien sowie Betriebswirtschaft in Pforzheim und Kapstadt. Sie besuchte die School of Art Goethanum in Dronach (CH) und die Contemporary Art Academy in London und arbeitete zeitweise in der Werbebranche, u.a. in Deutschland, Russland, Japan und der Schweiz. Zuletzt führte ein Residenzstipendium sie in die Niederlande. Seit 2018 ist sie mit zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen u.a. in Prien und auf Sylt, in Bad Reichenhall und Brüssel, Berlin und Madrid präsent.
Seit 2013 lebt sie im Chiemgau auf dem Land. Das Erleben der Funktionalisierung von Mutterschaft in Landwirtschaft und Viehzucht sensibilisierte sie für die Verbindung von Natur und Mutterschaft in ihrer lebensspendenden Kraft, aber auch in ihrer Verletzlichkeit, und für die Verpflichtung, die der Mensch gegenüber allen Lebewesen hat. Ihre Themen, die sie multidisziplinär u.a. malend und schreibend, collagierend und dichtend bearbeitet, sind Weiblichkeit, Natur und Fragen der Zugehörigkeit wie Heimat und Flucht oder Vertreibung.
In ihren Arbeiten mischt sie Fotografie und Malerei, natürliche/gefundene Materialien und „Schneeleinwand“, also Leinwand, die mindestens einen Winter lang unter dem Schnee gelegen hat. Das Schreiben bezieht sie in Form von Poesie und Art Journaling in ihre Kunst mit ein, um die Dimensionen ihrer Themen zu erkunden. Auch sie arbeitet hauptsächlich im Freien, experimentiert mit Regen und Schnee und bewusst „gealterter“ oder verwitterter Leinwand, um die Verwandlung alles Lebendigen hervorzuheben.
„Ich betrachte die Kunst als ein Werkzeug oder Vehikel, um die Welt zu betrachten und ein Bewusstsein und eine Bedeutung für die Zukunft zu schaffen, die mit unserem Ursprung als Teil der Natur verbunden ist.“ (Nicola Heim)
Dr. Gerda Poschmann-Reichenau