Frau arbeitet mit Computer und Handy

Kinder in die Ganztagsschule – Frauen an die Werkbank

Vereinbarkeit von Familie und Beruf ab 2026

Im Jahr 2000 wurde meine Tochter in Tittmoning eingeschult. Meine Tochter hatte einen relativ unregelmäßigen Stundenplan und freitags ab 10.25 Uhr schulfrei. Ich war damals noch berufstätig und nahm an einer Diskussions-Veranstaltung in Fridolfing zur Einführung der 6-stufigen Realschule teil. Nach den Vorträgen konnte das Publikum an das Podium (die damaligen Landtagsabgeordneten Alois Glück und Hermann Steinmaßl) Fragen stellen. Ich war noch jung und naiv und fragte, warum man die Stundenpläne in der Grundschule nicht an die Öffnungszeiten der Kindergärten anpassen könnte, um es so berufstätigen Müttern zu vereinfachen, den Alltag zu organisieren. Man antwortete mir, ich würde es meinem Kind doch nicht zumuten wollen, länger als unbedingt notwendig in der Schule zu bleiben.

Entwicklung der Ganztagsangebote an Schulen in Bayern*

So sehr haben sich die Zeiten geändert:

Mit der Änderung des Ganztagsförderungsgesetzes im Oktober 2021 verleiht der Bund Eltern von Grundschulkindern einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an den Grundschulen. Die Träger müssen diese mindestens an fünf Tagen der Woche für jeweils acht Stunden anbieten. Die Schulzeiten werden dabei auf die acht Stunden angerechnet. Die Betreuungseinrichtung darf maximal vier Wochen im Jahr geschlossen sein.

Der Bundestag hat das Ganztagsförderungsgesetz geändert, weil der Ausbau der Ganztagsbetreuung in Deutschland seiner Ansicht nach zu langsam und zu uneinheitlich in den verschiedenen Ländern vorangeschritten ist. Die Ganztagsbetreuung soll die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen und Arbeitgebern die Fachkräftegewinnung und -sicherung erleichtern.

Der Anspruch gilt ab 2026 und wird stufenweise eingeführt. Für die 1. Jahrgangsstufen gilt er ab 2026, für 1. und 2. Jahrgangsstufen ab 2027 und ab 2029 können Eltern von Grundschülern aller vier Jahrgangsstufen Betreuung am Nachmittag beanspruchen. Die Eltern sind nicht verpflichtet, das Betreuungsangebot zu nutzen. Wenn sie das Angebot annehmen wollen, müssen sie das an mindestens zwei Tagen in der Woche tun. Die Träger können den Anspruch durch Hort, Ganztagsschule oder Offene Ganztagsschule abdecken.

In Tittmoning besteht seit 2002 zuerst als Initiative des TINN e.V. dann als freiwillige Leistung der Stadtgemeinde ein Betreuungsangebot in Form einer Mittagsbetreuung. Heute bietet diese Betreuung für Grundschüler ab 11.20 bis maximal 16 Uhr an. Die Eltern können kurze Betreuungszeiten bis 13 bzw. 14 Uhr buchen. Dann können die Kinder in der Mensa Mittagessen, haben aber noch keine Hausaufgaben gemacht. Bei den längeren Betreuungszeiten bis 16 Uhr werden auch die Hausaufgaben in dieser Zeit erledigt und außerdem Möglichkeiten zum Spielen, Ausruhen oder auch körperlicher Aktivität geboten.

Derzeit nutzen circa 60 Kinder die Mittagsbetreuung in Tittmoning. Je nachdem, wie sehr das Recht auf Betreuung durch die Tittmoninger Eltern von Grundschulkindern ab 2026 in Anspruch genommen wird, kann sich der Bedarf an Betreuungsplätzen verdrei- oder sogar vervierfachen. Es besteht also Handlungsbedarf für die Stadtgemeinde, die Mensa auszubauen und gegebenenfalls mehr Räume für die Freizeitgestaltung in der Betreuungszeit zu schaffen.

Bei der Investition in Gebäude stellt der Bund 3.5 Milliarden € Zuschüsse bundesweit in Aussicht. Bei den laufenden Betriebskosten will er stufenweise ab 2026 die Kommunen unterstützen, ab 2030 mit 1.5 Milliarden € jährlich. Das entspricht circa 500 € pro Jahr und Schulkind. Nicht geklärt ist bisher, wer für die Personalkosten zuständig ist. In Tittmoning liegen diese, da es bisher noch eine freiwillige Leistung der Kommune ist, zu circa 85% bei der Stadt Tittmoning, das sind etwa 200.000 € pro Jahr.

Die Leitung der Mittagsbetreuung in Tittmoning legt Wert auf eine qualitativ hochwertige Betreuung der Kinder, bei der eine enge Zusammenarbeit mit der Schule eine wichtige Grundlage ist. Daher wurde in den letzten Monaten ein Beteiligungsprozess angestoßen, bei dem alle beteiligten Akteure von der Schule bis zur Ganztagsbetreuung ein zukunftsfähiges Konzept für die Grundschule mit OGTS erarbeiten sollten.

Als Ergebnis der Beratungen wurden kürzlich dem Stadtrat drei Varianten mit unterschiedlichen Gebäudenutzungen zwischen Schulhaus und Haus des Kindes und dementsprechend unterschiedlichen Investitionsbedarfen präsentiert. Moderiert wurden diese durch die Firma Lern-Landschaften. Für alle Varianten gibt es dafür und dagegen sprechende Argumente. Teilweise ist der Investitionsbedarf sehr hoch und man könnte sich fragen, ob gute Betreuung nicht in erster Linie von gutem Personal abhängig ist und ob daher das Geld hier nicht besser angelegt wäre. Die Teilnehmer des Beteiligungsprozesse argumentieren, dass ein erstklassiges Ambiente die Gewinnung ausgezeichneter Lehr- und Betreuungskräfte erleichtert.

Leider wird durch das Gesetz die Ungleichheit für die Bildungschancen von Kindern eher noch verstärkt, da die Höhe der Zuschüsse von der Höhe der geplanten Investitionen abhängig ist und daher zahlungskräftige Kommunen mehr in die Ganztagsbetreuung investieren können als finanziell schwächer aufgestellte.

Letztendlich sollten das Wohl der Kinder und die Bedürfnisse der Familien im Vordergrund stehen. Wenn Betreuungsbedarf besteht, sollte die Ganztagsbetreuung die Basis schaffen, dass die Kinder sich gut entwickeln, entspannt nach Hause kommen und dort mit ihren Eltern und Geschwistern gemeinsam eine gute Familienzeit verbringen können.

Ute Sesselmann