Das High-Tech-Unternehmen KRAIBURG STRAIL aus Tittmoning entwickelt Baukastensysteme für anwohnerfreundlichen Lärmschutz an Bahnstrecken
Die Einwohner in Ober- und Unterwiesmühl wurden aufgeschreckt durch die Präsentation des Bahnprojekts ABS 38. Durch die Erweiterung der Strecke auf zwei Gleise ist es nach dem Bundesimmissions-Schutzgesetz dringend erforderlich, Lärmschutzmaßnahmen zu ergreifen. Diese bestünden nach der derzeitigen Planung aus einer vier Meter hohen und ca. einen Kilometer langen Lärmschutzwand mitten durch Wiesmühl – nicht wirklich ein Beitrag zur Dorfverschönerung.
Lärmschutz – wie laut dürfen Züge sein?
In der 16. Bundes-Immissions-Schutzverordnung wurden die Immissionsgrenzwerte in Kerngebieten, Dorfgebieten, Mischgebieten und Urbanen Gebieten auf tagsüber 64 dB (A) und nachts 54 dB (A) festgelegt. Wie stark Geräuschpegel in dieser Größenordnung empfunden werden, kann man anhand der folgenden Grafik besser einschätzen.
Schallquellen und ihre Schallpegel
Messungen in Nordrhein-Westfalen zeigten durchschnittliche Geräuschpegel von 60-70 dB (A) durch Zugverkehr in etwa der Größenordnung (Anzahl an Zügen und deren Geschwindigkeit), wie sie durch den Ausbau der Strecke ABS 38 geplant ist. Die Spitzenwerte lagen bei bis zu 80 dB (A). Gemessen wurde in ca. 10 Metern Entfernung zur Gleismitte.
Um die vorgegebenen Grenzwerte bei der Baumaßnahme in Wiesmühl einhalten zu können, sind also Lärmschutzmaßnahmen erforderlich.
Wo entsteht der Lärm im Schienenverkehr?
Die größten Lärmquellen im Schienenverkehr sind die Rollgeräusche der Räder auf den Schienen und die Bremsen der Güterzüge. Fahrgeräusche in größerem Ausmaß entstehen erst ab Geschwindigkeiten von 200 km/h. Maschinenlärm ist auf einer elektrifizierten Strecke zu vernachlässigen.
Die Schallwellen breiten sich von der Lärmquelle in alle Richtungen aus und schwächen sich mit zunehmender Ausbreitung ab.
Warum muss die derzeit in Wiesmühl geplante Lärmschutzwand so hoch sein?
In Wiesmühl ist die Lärmschutzwand in ca. 10 m Entfernung zum Gleis geplant. Die Lärmschutzwand wird durch die Sog- und Druckwirkung der vorbeifahrenden Züge erheblichen Belastungen ausgesetzt und muss daher mit einem massiven Betonfundament versehen werden. Daher ist es nicht möglich, die Wand näher an die Geleise heranzubauen.
Entsprechend der Entfernung zum Gleis muss die Höhe der Lärmschutzwand sein, um die Wohnbebauung von den Schallwellen abschirmen zu können (s. nachfolgende Grafik). Derzeit ist diese Art Lärmschutzwand das gängige Produkt im Bereich aktiver Lärmschutz der DB Netz AG. Bevor innovative neue Produkte zugelassen werden, müssen diese ein aufwändiges Verfahren durchlaufen, das in der Regel 8 – 10 Jahre dauert.
Darstellung der Schallausbreitung an Gleisen
Innovative High-Tech-Produkte in Sachen Lärmschutz aus Tittmoning
Die KRAIBURG STRAIL GmbH & CO KG aus Tittmoning ist seit Jahrzehnten Partner von Eisenbahnnetz-Betreibern in aller Welt bei Bahnübergangssystemen, Schienenisolierung und Rasengleissystemen.
Ein relativ junger Bereich von STRAIL sind die STRAILastic Schallschutzsysteme. Hier forscht man seit einigen Jahren daran, den Lärmschutz an Bahnstrecken vor allem innerorts an die Bedürfnisse der jetzigen Zeit anzupassen. STRAIL geht dabei völlig neue Wege auf Basis des Rohstoffs Gummi in Verbindung mit lärmabsorbierenden Materialien.
Günther Wagner, seit Anfang des Jahres Geschäftsführer bei STRAIL, und Andreas Göschl, zuständig für die Geschäftsfeldentwicklung im Bereich der Schallschutzsysteme erläutern im Interview, dass STRAIL hier absolut im High-Tech-Bereich des Schallschutzes unterwegs ist.
Die Grundidee ist dabei, den Lärmschutz so dicht wie möglich an der Lärmquelle zu installieren. So kann man hohe Lärmschutzwände vermeiden, die sowohl für Anwohner als auch für Zuggäste wenig attraktiv sind. Gleichzeitig sollen die Schallwellen nicht nur abgeblockt, sondern auch durch die eingesetzten Materialien aufgenommen und abgeschwächt werden.
Eine weitere Attraktion des Baukastensystems von STRAIL besteht darin, dass alle Produkte einfach zu montieren sind. In der Regel greift man hier auf die vorhandenen Strukturen wie Schienen oder Geländer zurück.
Sieben Mal High-Tech-Lärmschutz direkt an der Quelle
Mittlerweile umfasst das Portfolio von STRAIL sieben Produkte im Bereich Schallschutz. Von unten nach oben beginnt man mit einem Schienenstegdämpfer. Er wird direkt an der Schiene montiert, um deren Schwingungen und dadurch entstehende Schallwellen zu reduzieren.
Der nächste Baustein ist die mini-Schallschutzwand. Sie wird knapp außerhalb des Regellichtraums über einen Metallunterbau an den Schienen montiert. Der Regellichtraum ist der Platz, der entlang von Eisenbahngleisen mindestens von Bebauungen freigelassen werden muss, damit sich alle Fahrzeuge gefahrlos bewegen können. Die mini-Schallschutzwand erhebt sich nur 38 cm über die Oberkante der Schienen.
Das nächstgrößere Objekt – die mini-Schallschutzwand 730 – ist das erste Serienprodukt, bei dem die neue absorbierende Akustikoberfläche zum Einsatz kam. Sie kann immer noch sehr dicht an den Schienen durch Erdschrauben im Untergrund oder mit einem isolierten, entkoppelten Unterbau an den Schienen befestigt werden. Der Abstand zur Gleismitte beträgt 1,80 Meter. Die Höhe der Elemente liegt bei 1,30 Meter über der Schienenoberkante.
Bestehende Geländer können mit der Geländerausfachung STRAILastic_IP zur Schallschutzwand aufgewertet werden. Auch hier ist die absorbierende Akustikoberfläche integriert. Gestalterisch bietet sie die Möglichkeit, außen individuell bedruckte Panele anzubringen. Diese können zur Anpassung an die Umgebung dienen, aber auch für Werbung oder als Gestaltungselement z.B. für die Landesgartenschau verwendet werden. Die Elemente sind 1,30 Meter hoch und werden in 3,30 Metern Entfernung zur Gleisachse montiert.
Fügen sich stilistisch an die Umgebung an – Schallschutzpaneele an Brückengeländern
Eine Weiterentwicklung der Geländerausfachung ist die STRAILastic-SW Schallschutzwand, die aufgrund der integrierten Befestigungssysteme überall frei platziert werden kann. Abmessungen und auch die bedruckbaren Paneele sind analog zur STRAILastic_IP.
Abgerundet wird das Programm mit der Tunnelplatte STRAILastic-TP und der Wandplatte STRAILastic-WP. Beide Platten sind mit der absorbierenden Akustikoberfläche ausgestattet und können in der gebogenen Form an Tunnelwandflächen oder flach an vorhandenen Mauern angebracht werden.
Mit einer Kombination von zwei oder drei Produkten aus dem Programm können die Lärmemissionen an Bahnstrecken nahezu ebenso stark reduziert werden wie mit der derzeit gängigen Lärmschutzwand. Herr Göschl berichtet von Anwohnern, die etwas höhere Lärmemissionen gerne tolerieren würden, wenn dafür die Abschottung durch meterhohe Lärmschutzwände wegfällt.
Es geht auch ohne meterhohe Lärmschutzwände, wie diese Aufnahme aus Nordhorn zeigt.
Welche Optionen ergeben sich daraus als Lärmschutz für Wiesmühl?
Die Schallschutzsysteme von KRAIBURG STRAIL könnten die Lösung für die meisten der Probleme in Wiesmühl sein, die durch den Ausbau der Strecke durch das Projekt ABS 38 ausgelöst werden. Der Schallschutz wäre gewährleistet, das Dorf würde nicht zerschnitten und der Bahnhof könnte durch eine attraktive Gestaltung der Lärmschutzwände sogar aufgewertet werden.
Schallschutzwand mit Erdschrauben als Lösung für Wiesmühl
Die Frage ist: Bis wann ist das Zulassungsverfahren der Produkte für die DB Netz AG abgeschlossen und wie kann man den Prozess unterstützen, so dass hier wirklich von der hohen Lärmschutzwand abgewichen wird?
Für Günther Wagner und Andreas Göschl wäre eine Teststrecke mit den Schallschutzsystemen von STRAIL direkt vor Ort in Wiesmühl eine sehr attraktive Idee. Sie wäre auch bereits in einer frühen Phase des Zulassungsverfahrens umsetzbar und bezüglich der Zeitschiene wäre diese Option durchaus als realistisch einzuschätzen, denn die zeitlichen Dimensionen für die ABS 38 und die Zulassung der innovativen Schallschutzsysteme liegen nicht so weit auseinander: Der Zulassungsprozess dauert ca. acht Jahre, die Fertigstellung des Projekts ABS 38 war für 2030 angesetzt.
Der nächste Schritt wäre, alle möglichen Beteiligten aus Politik, der DB Netz AG und dem Unternehmen vor Ort, aber auch die Bürger aus Tittmoning und speziell aus Wiesmühl, für die Idee zu begeistern, um das Projekt langfristig auf den Weg zu bringen.
Ute Sesselmann