Spatz am Dach
Spatz am Dach

Spatz am Dach

Der Spatz ist umgezogen. Noch bevor der Rotdorn in die Sommertrockenphase verfallen ist und das unnötige Laub abgeworfen hat, hat er seinen Schlafplatz in einen der neu gepflanzten Exoten verlegt. Da ist zwar die Aussicht schlechter, aber dafür war es in den glutheißen Augusttagen gefühlte nullkommasieben Grad kühler. Ich bitte Sie! Nullkommasieben!! Ohne Klimaanlage, ohne CO2-Emission, ohne zusätzlichen Gasverbrauch!!! Wenn es gerecht zugehen würde auf der Welt, dann hätte er ein Ökosiegel verdient und einen Zeitungsartikel und einen Besuch vom Umweltminister Söder. Wie? Der ist gar nicht Umweltminister? Aber der ist doch derjenige, der auf die Energiefresser in Norddeutschland schimpft und klammheimlich froh ist, dass Bayern endlich abgehängt wird vom unseligen Wachstumsdiktat?

Gut, einem Spatzen wollen wir großzügig verzeihen, dass er die politischen Zusammenhänge nicht im Detail beurteilen kann. Wir müssen dabei auch bedenken, dass die Schulbildung unter Corona gelitten hat – ohne Präsenzunterricht kann der Spatz lang auf dem Fensterbrettl vorm Klassenzimmer sitzen und auf erhellende Lernschritte hoffen. Da kommt nichts herüber, so sehr er auch lauscht und auf die Tafel späht. So hat er sich halt an die Wirtsgärten gehalten. Statt über Goethes Faust hat er was über die Kayer Fußballer gelernt, und über die Politik hat er auch allerhand erfahren, vor allem, dass sie nicht richtig funktioniert.

Stimmt schon, manchmal hat sich der Spatz drüber gewundert, was die Leut eigentlich möchten, wenn ihnen das, was sie haben, nicht passt. Und weil ihm diese Frage wichtig vorgekommen ist, hat er gut aufgepasst. Leider vergebens. Irgendwie hat jeder was anderes gut gefunden und alle andern haben ihm gesagt, dass das ein Schmarrn ist und nix bringt. Da wäre ihm Schule schon lieber gewesen, da ist wenigstens einer drin, der sagt, was richtig ist.

Ja mei, alles kann man nicht haben, hat sich der Spatz am Ende gedacht. Landesgartenschau zum Beispiel. Die hätt ihm schon narrisch gefallen. Der Stadtplatz eine grüne Insel, der Autoverkehr irgendwo draußen oder gleich unterirdisch wie die Parkplätze, nur noch glückliche Menschen, die entspannt die neuen Erholungsflächen bevölkern und großzügig Kuchenbrösel fallen lassen. Und dann kriegt s Langenzenn in Mittelfranken! Ganz nah da, wo der Söder herkommt. Für ein Spatzenhirn ist da alles klar.

Josef Wittmann