Spatz am Dach

Alt bin ich geworden, findet der Spatz, so richtig aus der Zeit gefallen ur-alt. Das ist eine bemerkenswerte Feststellung, wird der Haussperling, passer domesticus, im Durchschnitt doch bloß drei Jahre alt. Wenn die Turmfalken genug andere Beute finden und die Katzen Hausarrest haben, kann ein Spatz auch einmal fünf Jahre alt werden. Aber das war s dann. So alt, dass er sich über das Altwerden ernsthaft Gedanken machen müsste, wird ein Spatz nie.

Der „Spatz am Dach“ ist also ein biologischer Sonderfall, weil er schon seit 2013 in der SchauRein! das erste Wort führt, Spatzen-Äonen lang also. Die SchauRein! ist noch älter, soeben erschien Sie das sechzigste Heft, akkurat zum 15ten „Geburtstag“ des Magazins für Leben und Kultur in Tittmoning. Über das biologische Alter eines Stadtmagazins hat die Wissenschaft noch keine Erkenntnisse, zumindest keine, die bis zum Dachsparren mit dem Spatzennest gedrungen wären. Aber die gefühlte Wahrheit sagt, mit 15 ist es eigentlich im besten Alter. Bei allen ansässigen Unternehmen, vom Weltkonzern bis zum Bäckerladen bekannt, von immer mehr Leuten gern gelesen und auch im Rathaus anerkannt als sinnstiftendes Organ für alle Ortsteile.

Eigentlich … aber alles was lebt, hat auch Feinde, die es bedrohen. Was für Spatzen der Falke und die Katzen sind, ist für die SchauRein! die Deutsche Post. Dies ist ein Monopolkozern. Eine Aktiengesellschaft der DHL-Group. Ein riesiger Sach-Apparat, der nicht lebt, aber ohne zeitliche Grenze expandiert und an Macht zunimmt, der nie schlafen muss, nie Urlaub braucht, der kein Hirn, keinen Verstand und keinen Anstand hat, kein Bewusstsein der Welt als Ganzes und damit auch keine Rücksicht auf das Leben – weder das der Spatzen, noch das der Menschen, noch das der Stadt.

Der Konzern hat natürlich Angestellte, von denen niemand in Zweifel zieht, dass sie Menschen sind. Deren Verantwortung ist aber auf die Funktion des Apparats und die Einhaltung seiner Regeln beschränkt. Für Menschen ist dieses Personal nicht erreichbar. Es antwortet einfach nicht. Die Sprachwissenschaft nennt dieses Phänomen hermeneutische Ungerechtigkeit. Wer die Macht hat, ignoriert jene, die keine haben. Und so kommt es, dass die SchauRein! nicht mehr an sämtliche Haushalte verteilt wird, was aber Voraussetzung für ihre Existenz ist. Für den Falken ist ein Spatz schnell gefressen. Sein letztes Ziiiiep – na vielleicht hört s noch jemand.