Spatz am Dach

Der Spatz genießt seine Freiheit. Ach, ist das schön! Die Brut hat, soweit er zählen kann, vollständig den Sommer überlebt, letale Katzen-Übergriffe sind nicht zu beklagen. Die Spätzin ist beim Treffen der Elterninitiative für Ganztagszwitschern am Kolpingplatz und hofft, dort die Schönheit des Ziepens für künftige Spatzengenerationen erhalten zu können. Und er hat sich vorgenommen, die Ruinen rund um den Stadtplatz zu besuchen, die ja idealen Lebensraum für Piepmätze aller Arten und Rassen bieten. Einfach erhebend ist es, spatzen-ober-super-geil, da oben am Gelben Haus zu sitzen, auf das krückengestützte Nachbarhaus und das bröckelnde Stadttor zu blicken und davon zu träumen, wie hier in allerbester Innenstadtlage bald nur noch gefiedertes Kleingetier leben wird, völlig ungestört von renovierungswütigen homini sapientes.

Weise lächelnd hat er die humorvolle Bautafel des Planungsbüros für Denkmalschutz entziffert. Dass sie schon deutliche Verwitterungsspuren trägt, beweist, dass es mit dem behaupteten Wissen „um das was fehlt“, nicht weit her sein kann. Aber noch himmlischer ist der Blick nach Süden, wo das ehemals „Erste Haus am Platz“, Hotel zur Post, seit über 40 Jahren bestimmungslos vor sich hinmodert und selbst die einzige Metzgerei im Städtchen (wo der Spatz so gern seine Teilhabe an der Brotzeit der Handwerker einfordert) dem Verfall nicht widerstehen kann. Über die aufgegebenen Häuser in den Seitengassen, deren Besitzer vor den Wahnsinnsforderungen der Denkmalbürokratie schon geflohen sind, blickt er großzügig hinweg, freut sich lieber über den Taubenpalast im ehemaligen Münchner Hof (obwohl er diese Ebenbilder des Heiligen Geistes nicht allzu sehr schätzt) und kann sich vorstellen, dass die Geschäftsaufgaben und Wirtshausschließungen das Paradies bald erheblich erweitern werden.

Para-wasgleichwieder? Jetzt wird ihm doch ein bisserl komisch bei dem Gedanken, dass die Stadt bald menschenleer sein wird. Im Herbst hat das letzte Wirtshaus zugesperrt, wo ein Stammtisch Platz gehabt hat. Wo die (meist alten) Leute zusammengekommen sind und von der guten alten Zeit erzählt haben oder sich über die Zumutungen der neuen Zeit aufregen konnten. Da ist er gern dabei gesessen (allerhand schmackhafte Bissen sind von zittrigen Gabeln zu ihm hinuntergesegelt) und so manches Noagerl Bier hat er auch geerbt. Wenn die Alten jetzt alle ins Pflegeheim müssen, von KI-gesteuerten Robotern endlos am Leben erhalten, sapperlott, denkt sich der Spatz, dann wird s fad für uns.