Nach zwei Jahren Corona-Einschränkungen könnte die „Normalität“ zurückkehren
Die mühsam erlernten neuen Wörter wie „Lockdown“, „Inzidenz“, „2-G-Regel“, die in Zeiten der Pandemie die Deutsche Sprache und das Denken beherrschten, könnten bald aus dem aktiven Gebrauch ausscheiden und im Keller des öffentlichen Bewusstseins Platz nehmen, neben „Wählscheibe“, „Dia-Projektor“ und „Kassettenrekorder“. Es sieht so aus, als könne dem Corona-Virus in all seinen Mutanten der Schrecken genommen werden. Die medizinische Forschung hat wirksame Impfstoffe und Medikamente hervorgebracht, die staatliche Administration hat mit sehr viel Geld und trotz widersprüchlicher und nicht selten unsinniger Regelungen im Großen und Ganzen funktioniert, das Überleben der allermeisten Leute bewahrt und das Virus selbst hat sich zuletzt zu einem Erreger unter vielen entwickelt, die zwar krank machen, aber nur im Ausnahmefall tödlich wirken und die nach überstandener Krankheit gegen sich selbst immunisieren. Dass Gesundheitsminister Lauterbach bei solchen Erwartungen Schweißperlen auf der Stirn bekommt, ist seiner Fachkenntnis geschuldet, aber als Politiker weiß er auch, dass Virologie nicht das ganze Leben ist.
Das „ganze Leben“, das, was wir rückblickend mit leichter Wehmut „die Normalität“ nennen, hat sich in den Zeiten der massiven Einschränkungen verändert, so sehr verändert, dass es naiv wäre, zu glauben, dass 2022 einfach auf 2019 folgen würde und die Zwischenzeit vergessen werden könnte. Wenn man mit offenen Augen durch die Stadt geht, bemerkt man vor allem, was fehlt: der „Braugasthof“ samt Stadtsaal und Nebenzimmern ist geschlossen. Der Fasching ist ausgefallen, keine Bunten Abende, keine Bälle. Die Gastronomie besteht fast nur noch aus Abhol- und Lieferservice, tagsüber nutzen bei schönem Wetter viele Gäste die Tische im Freien, aber am Abend herrscht vor allem die Leere. Gemeinsame Abendessen als Einstieg in einen kreativen Meinungsaustausch – sowohl im Geschäftsleben als in der Politik weggefallen. Das letzte Bier in der Kneipe, nach harter Arbeit im Betrieb – gestrichen, die 22-Uhr-Sperrstunde sitzt in den Köpfen. Die Stadt als Zentrum des Handels, der sozialen Kontakte, der Kultur funktioniert nicht mehr. Die Verdorfung, also der Rückzug auf das eigne Haus und Kontaktbeschränkung auf die Nachbarn, greift um sich. Der Siegeszug der „Suburbia“, des Wohngebiets ohne soziale Bindung, fördert überregionale Handelsketten und virtuelle Plattformen, nimmt aber dem örtlichen Einzelhandel die Existenzgrundlage. Die Folgen sind überall sichtbar.
Der Gewerbeverband kann die Trends nicht verändern und die Defizite nicht wettmachen. Er kann nur Zeichen setzen: Den Schäfflertanz aufführen lassen, so bald es möglich ist, als Zeichen der Rückkehr zum Bürgersinn, zum Bewusstsein, dass die Stadtgemeinde auf alle ihre Bürgerinnen und Bürger angewiesen ist. Er kann Betriebsbesichtigungen anbieten, um Einblicke in erfolgreiche Unternehmen zu ermöglichen. Er kann wieder echte Versammlungen abhalten, in denen soziale Kontakte auch neben dem Fachvortrag stattfinden können. Er kann Informationen bereitstellen, die dem einzelnen Gewerbetreibenden in Problem-Situationen hilfreich sein können. Er kann – zusammen mit anderen Veranstaltern – Geselligkeit fördern. Die Covid-Pandemie ist eben nicht nur ein medizinisches Problem der Individuen, sie ist eine Ausnahmesituation der Gesellschaft, die große gesellschaftliche Schäden verursacht hat.
Von diesen Schäden zu genesen, ist ein Projekt für Jahre, zu dem gerade die in der Pandemie am meisten benachteiligten Gewerbezweige, die Gastronomie, der Einzelhandel und das haushaltsnahe Handwerk, den wichtigsten Beitrag leisten. So schwer es fällt, zu allen Lasten auch noch den Beitrag zum Gewerbeverband zu zahlen, ist der Zusammenhalt im Verband wichtig. Die „Rückkehr zur Normalität“ muss in den Köpfen stattfinden. Für den Einfluss auf das Denken ist aber die Gemeinschaft unersetzlich.